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Das Geistersystem

Der Albtraum des Managements: ein Altsystem ist nicht mehr wartbar. Der ursprüngliche Hersteller steht nicht mehr für Weiterentwicklung zur Verfügung, vielleicht nicht mal mehr zur Störungsbeseitigung - zumindest nicht erfolgreich.

Aus den Reihen der eigenen Administratoren werden zwar Signale gegeben, dass hier ein erhöhtes Betriebsrisiko besteht, doch erfahrungsgemäß gibt es darauf zwei klassische Managementantworten:

a) Es wird ein Verantwortlicher für das Risikomanagement eingesetzt. Der untersucht verschiedene Ausfallszenarien, benennt Administratoren, die dafür verantwortlich sind, dass der jeweils betrachtete Schadensfall nicht eintritt und lässt Notfallpläne entwerfen, nach denen vorgegangen werden soll, wenn es denn doch passieren sollte. Für den Fall wird dann noch beim Controller ein Budget zur Abdeckung des Schadens bereitgestellt. Weil jetzt alle Risiken gemanaged sind, kann die obere Etage wieder ruhig schlafen.
Die betroffenen Admins schlafen sowieso ruhig, das liegt in ihrer Natur. Unterm Strick ... pardon, unterm Strich herrscht hier das Prinzip Hoffnung, dass es nicht zum Ausfall des Altsystems kommt.
b) Viel einfacher: die Admins werden so lange nach ihren Einschätzungen gefragt, wie wahrscheinlich dieser oder jener Ausfall ist und ob sie denn etwa die Maschinen nicht im Griff hätten, bis das Management aus den ausweichenden Antworten herausgehört hat, dass es nur mal wieder der übliche, pessimistische Sarkasmus aller Supportleute ist und alles gar nicht so schlimm ist.

Es ist demgegenüber schon als Glücksfall zu werten, wenn das Altsystem so instabil geworden ist, dass häufige Störungen und Ausfälle zu verzeichnen sind, die nur durch stoischen Griff zum Reset-Knopf behoben werden können. Denn dann wird es auch für die Entscheidungsebene unübersehbar, dass das System ersetzt werden muss.

Leichter gesagt als getan - das Mittel der Wahl ist in aller Regel der Einkauf oder das Neuschreiben des gesamten Systems und der Umzug bei Nacht und Nebel. Was aber, wenn dafür nicht genug Zeit oder Geld zur Verfügung steht?

Dann kommt das gefürchtete Geistersystem zum Einsatz. Hier wird das alte System "von außen gekapselt" bzw. umrankt. Und zwar von ganz außen. Es werden Robots geschrieben, die die alte Oberfläche auslesen, die Inhalte parsen und in einem neuen User Interface darstellen. Interaktionen werden durch die Robots an die alten Systeme durchgereicht. Vielleicht handelt es sich um ein browserbasiertes System, dann kann man mit dem Server per HTTP kommunizieren. Wenn nicht, hilft oft ein profanes Macro-Tool, das Masken und Buttons einer Anwendung erkennt.

Das Geistersystem ist praktisch eine einzige, riesige Blackbox.